Mein Radiomoment: Kein Radiomoment

Mein Radiomoment zeichnet sich dadurch aus, dass er kein Radiomoment war.

Im Sommer letzten Jahres, vor den Sorgen und Einschränkungen der Corona-Pandemie, habe ich ein Praktikum in der Musikredaktion von Bremen Vier absolviert. Nach ein paar Tagen zusehen und Fragen stellen, durfte ich dann auch selbst einige Musiktitel für die Morgensendung des nächsten Tages aussuchen. Nebst Songs von Wincent Weiss, Meghan Trainor und Kygo wählte ich prompt auch einen meiner persönlichen Favoriten: “Undisclosed Desires“ von Muse. Nicht nur meiner rosaroten Brille, sondern auch dem strengen Blick des Musikredakteurs hielt die Titelauswahl stand und wurde ins Sendeprogramm übernommen. Am Ende des Arbeitstages ließ ich alle meine Freunde wissen, dass morgen früh dank mir ein musikalisches Highlight laufen würde und meine Freunde ließen mich wissen, dass sie gar kein Radio hören. 

Schon als “Undisclosed Desires“ vor über einem Jahrzehnt erschien, war ich von den Bässen, die ich für die fast vier Minuten immer verbotenerweise voll aufdrehte, und den begleitenden Streichern fasziniert. Da es Spotify noch nicht gab und mein Taschengeld nicht für den iTunes-Store reichte, war es immer ein absolutes Highlight, wenn dieser Song im Radio zu hören war. Nun würde er nicht nur im Radio laufen, sondern auch von mir dort platziert worden sein!

Als ich in meiner sommerlichen Übermotivation morgens aufstand, um vor der Arbeit noch eine Runde joggen zu gehen, machte ich also statt der Sportplaylist die Radio-App an. Nachdem Lady Gaga und Bradley Cooper zur Genüge verliebt in mein Ohr gesäuselt hatten, waren jedoch erst einmal die Nachrichten dran und ich schaltete kurz zurück auf Spotify. Als ich mich daran erinnerte, wieder das Radio einzuschalten, war das Unsägliche geschehen: Ich hatte den Song verpasst. 
Stattdessen besang nun Michael Schulte mit “You Let Me Walk Alone“ meinen Gemütszustand äußerst zutreffend. Trotzig hörte ich den gewünschten Song auf Spotify und musste feststellen, dass es einfach nicht dasselbe war. Die Magie des linearen Radios und der Nervenkitzel, ob ein Song ohne Staunachrichten und unangenehm frühe Abmoderation gehört werden kann, sind bei den meisten Streaming-Diensten einfach nicht vergleichbar. 

In den folgenden Wochen des Praktikums durfte ich noch häufiger Musiktitel auswählen und habe die meisten davon auch mitbekommen. Besonders oft lief während der sechs Wochen jedoch ein bestimmter Song von Muse.

Autorin: Yaël Delkurt


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