Mein Radiomoment – Paranoia auf der Landstraße
Irgendwo auf der A 30 zwischen Osnabrück und Rheine: Die Scheibenwischer quietschen und hinterlassen Schlieren auf der Windschutzscheibe, auf der Gegenfahrbahn rast ein Auto vorbei – das Xenonlicht blendet. Danach herrscht wieder Dunkelheit, verdrängt lediglich von dem schwachen Scheinwerferkegeln meines Golf III und der Displaybeleuchtung des Autoradios. Es läuft NDR 2 mit irgendeinem Lied aus den aktuellen Single-Charts. Ein Unheil verkündendes Knarzen aus dem einzigen funktionierenden Lautsprecher durchbricht die Ruhe im Auto – kein Empfang mehr. Inzwischen habe ich Niedersachsen verlassen und befinde mich in NRW, 1Live sollte also funktionieren. Schnell die richtige Frequenz gesucht, dann setzt ich meine Fahrt ungestört fort.
Die Monotone Männerstimme aus dem Radio verkündet: „Original Tondokument zum Zwischenfall AY11 3609 Codewort Fensterblau, es handelt sich um die Aufnahmen der in Sperrzone 1 gefundenen Aufzeichnungsgeräte. Sichergestellt wurden zwei durch das Großfeuer stark beschädigte Digitalkameras, von deren Aufzeichnungen lediglich Fragmente auswertbar waren.“ Die ersten Fragmente offenbaren harmloses: Ella steht mir ihren Eltern auf Kriegsfuß, ihr „Vater ist eh auf Geschäftsreise“ und ihre Mutter „trifft ihren neuen Lover“. Am Wochenende will die 16 Jahre alte Schülerin mit ihren Freunden Spider, Hendrik und Tamara auf ein Goth-Konzert nach Leipzig fahren. Da bietet sich der Oldtimer von Ellas Vater geradezu an. Ohne Wissen der Eltern borgen sich die Jugendlichen den Oldtimer und fahren ohne Navigationsgerät und nur mit einer Karte ausgestattet los. Ein wütender Anruf von Ellas Vater durchkreuzt ihre Pläne, er will dass sie umkehren, ansonsten verständige er die Polizei. Daraufhin weichen die Jugendlichen auf Landstraßen aus, um Polizeikontrollen zu umgehen – und verfahren sich. An einem Gasthof halten sie an und fragen nach dem Weg, ein paar angetrunkene Männer wollen Ella und Tamara an die Wäsche. Die Situation eskaliert, einer der Männer zieht Spider eins mit einem Baseballschläger über, Hendrik sticht auf den Schläger ein, dann flüchten die vier mit dem Oldtimer in die Dunkelheit. Die Männer verfolgen sie in Pickups. Auf ihrer Flucht kommen die Jugendlichen in einen verlassenen Ort, plötzlich springt ein Affe auf die Oldtimermotorhaube, er trägt ein lila T-Shirt….
Ich fahre von der Autobahn ab, Bäume säumen die Landstraße vor mir, nirgendwo sind andere Autos zu sehen, die Dunkelheit verschluckt den Golf III. Der Motor läuft unruhig und ich hoffe, dass er auf den letzten Metern nicht schlapp macht – wer weiß, was sich Nachts im Wald herumtreibt? Das Hörspiel hat Besitz von mir ergriffen. Ich schiebe Paranoia und hoffe so schnell wie möglich zu Hause anzukommen.
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Simon Sax